Beispiel Paloma-Viertel: sieben Thesen für einen gelungenen Beteiligungsprozess

2008 erwarb die Bayerische Hausbau in Hamburg-St. Pauli die dortigen Esso-Häuser. In den darauffolgenden Jahren wurde ein aufwendiger Bürgerbeteiligungsprozess durchgeführt, den es so in der Bundesrepublik noch nicht gab. Was kann man daraus lernen?

Mit der geplanten Neuentwicklung des Geländes am Spielbudenplatz, dem heutigen Paloma-Viertel, ging der Höhepunkt der Gentrifizierungsdebatte einher – und machte in den ersten Jahren einen konstruktiven Dialog mit Stadtteilvertretern nahezu unmöglich.

2014 dann die Wende: Die Bayerische Hausbau, das neu gegründete
Planungsbüro PlanBude und die Politik verständigten sich auf eine umfangreiche vorgezogene Bürgerbeteiligung, die von der PlanBude im Auftrag des Bezirks durchgeführt wurde. Anhand des so genannten PlanBude-Prozesses lässt sich herleiten, was eine gelungene Bürgerbeteiligung benötigt und welche Chancen, aber auch Risiken sie mit sich bringen kann. 

These 1: Beteiligung braucht Legitimation

Der PlanBude ist es gelungen, durch einen klug aufgesetzten Beteiligungsprozess alle Bevölkerungsgruppen anzusprechen, damit mehr als 2.300 Beiträge einzuholen und in den St.-Pauli-Code sowie in konkrete Grundlagen für die Verhandlungen mit der Bayerischen Hausbau zu gießen. Anders als viele andere Beteiligungsprozesse war und ist dieser durch die Quantität und Qualität der erbrachten Beiträge umfangreich und zweifelsfrei legitimiert.

These 2: Beteiligung braucht Vertrauen

Die wesentlichen Verhandlungspartner für das neue Paloma-Viertel, die Bayerische Hausbau und die PlanBude, standen sich bis 2014 überwiegend konfrontativ gegenüber. Freundschaften sind zwar auch in den vergangenen Jahren nicht entstanden. Aber: Das laufende Gespräch, der gemeinsame Wille zum Erfolg, die Erwartungen der jeweiligen Stakeholder, die in den beiden Wettbewerben erzielten enormen Zwischenerfolge und nicht zuletzt die Ermunterung durch die Politik haben ein tragfähiges Gesprächsklima geschaffen.

These 3: Beteiligung braucht Zeit und Geld

Die Bayerische Hausbau hat das Esso-Häuser-Areal 2008 erworben. Sie war gezwungen, Unsummen in temporäre Stützmaßnahmen für einen nicht mehr sanierbaren Gebäudekomplex zu investieren. Sie ist seit 1. Januar 2014 nicht nur ohne Mieteinnahmen, sondern hatte auch erhebliche Ausgaben für die temporäre Unterbringung, Entschädigungen und Umsetzungen ihrer ehemaligen Mieter. Zins und Tilgung laufen seit Jahren. Kurzum: Viele andere Projektentwickler ohne den wirtschaftlichen Hintergrund der Bayerischen Hausbau stünden in einer solchen Gemengelage längst vor existenziellen wirtschaftlichen Schwierigkeiten.

These 4: Beteiligung kann Städtebau und Architektur befruchten

Der PlanBude-Prozess und die fachlich qualitätsvolle Arbeit der PlanBude waren die wesentlichen Voraussetzungen für die an beiden Wettbewerben beteiligten Architekturbüros, um erstklassige, passgenaue Entwürfe zu liefern. Damit entwickelt sich das Paloma-Viertel städtebaulich und architektonisch zu einer Landmark, die alles andere als „Investorenarchitektur“, sondern so sein wird, als hätte sie schon immer St. Pauli an dieser Stelle bereichert.

Paloma-Viertel
So soll das Paloma-Viertel auf St. Pauli einmal aussehen. Markant: der „Stadtbalkon“ zum Spielbudenplatz hin.

These 5: Beteiligung kann funktionierende Viertel schaffen

Die Selbstbeschränkung, keine gewerblichen Dickschiffe von der Stange, sondern St.-Pauli-affines, kleinteiliges Gewerbe anzusiedeln, die Rückkehr des Musikclubs Molotow und die Ansiedlung der Kogge, das Nachbarschaftscluster, die öffentliche Nutzung der Dächer, der hohe Anteil öffentlich geförderter Wohnungen: Alle diese von der Bayerischen Hausbau zugestandenen Maßnahmen werden sich befruchtend auf das gesamte neue Viertel auswirken, sind aber auch mit erheblichen negativen wirtschaftlichen Folgen für den Eigentümer und mit nicht geklärten Betreiber- und Haftungsfragen verbunden.

These 6: Beteiligung braucht Regeln

Die Geschichte des Esso-Häuser-Areals zeigt deutlich: Die Frage, inwieweit die
baugesetzlichen Vorschriften zur Information und Beteiligung der Bürger an Projektentwicklungen ausreichen oder fortzuentwickeln sind, muss im Rahmen eines großen gesellschaftlichen Diskurses geklärt werden. Die Politik sollte für sich neu definieren, wie ernst sie den ihr im Rahmen der repräsentativen Demokratie zugemessenen Entscheidungsspielraum noch nimmt und zu nutzen gedenkt. Diese Klärung ist überfällig, auch um der Immobilienwirtschaft wieder finanzielle und organisatorische Planungssicherheit zurückzugeben. Eine pauschale Regelung der Beteiligung kann es aber nicht geben.

These 7: Beteiligung kann zu Wettbewerbsverzerrung führen

Um aus der politischen Blockade über den PlanBude-Prozess zu erheblich reglementiertem Baurecht zu kommen, muss die Bayerische Hausbau auf ihrem Grundstück das Wunschkonzert von Stadtteil und Politik abbilden. Nüchtern betrachtet ist der PlanBude-Prozess damit – auch – ein Vehikel für eine Wettbewerbsverzerrung durch gravierende Ungleichbehandlung eines Marktteilnehmers.

 

Weitere Infos zum Projektvorhaben unter www.paloma-viertel.de