Sie stellen die These auf, dass sich Urbanität infolge der Virtualisierung immer mehr vom Physischen entkoppelt. Überspitzt gesagt: Ist es dann egal, wie wir heute bauen, solange schnelles Internet vorhanden ist?
Nein, die Art und Weise, wie wir bauen, bekommt im Gegenteil noch eine größere Bedeutung, da der Unterschied digital/analog durch die Omnipräsenz virtueller Kommunikation relativiert wird. Die Entkoppelung vom Physischen bezieht sich auf die Bereiche, die die Imagination und Kommunikation des Gebauten betreffen. Der real gebaute Raum wird für die Virtualisierung „kompatibel“ gemacht. Immobilien und Räume im Allgemeinen müssen für den globalen Code der virtuellen Kommunikation passfähig werden, um in der virtuellen Bilderflut hervorzustechen.
Sie sprechen von der Unplanbarkeit der Stadt, die durch die Virtualisierung noch zugenommen hat. Warum?
Vorstellungen, wie eine Stadt zu planen ist, ergeben sich klassischerweise aus einem lokalen Aushandlungsprozess, der sich nach dem Gebrauchswert von Räumen ergibt. Durch die globale Verhandelbarkeit von Räumen wird dieser lokale Interessenausgleich relativiert. Einerseits ist die Möglichkeit der Intervention von außen erheblich größer, da nun alle Orte dieser Welt von überall sichtbar und dementsprechend auch bewertbar – in ihrem ökonomischen, kulturellen und sozialen Wert – werden. Andererseits haben viele Akteure der lokalen Stadtgesellschaft ein „globales Bewusstsein“ und wünschen sich die Gestaltung ihrer direkten Umgebung nach virtuell erfahrbaren Vorbildern. Jeder möchte einen Cappuccino in einer sicheren und ästhetisierten Wohlfühlatmosphäre trinken, die wir als weltweite Norm für Innenstädte beobachten können.
Sehen Sie in der Entortung des Urbanen auch eine Chance, dass die Wohnungsknappheit in Städten wie München oder Hamburg oder international New York oder London zurückgehen wird? Gibt es zukünftig Urbanität auch auf dem Land?
Urbanität gibt es nach meinem Verständnis überall und nirgends. Überall dort, wo die Auseinandersetzung zwischen global-virtuellen Vorstellungswelten geführt wird, entsteht wieder eine urbane Gesellschaft, auch auf dem Land. Wo dies nicht geschieht, verbreitet sich eine homogenisierte, cleane und sterile Ortlosigkeit – effizient, exklusiv, langweilig. Wohnungen werden genau dort entstehen, wo der lokale Wohnungsbedarf mit der globalen Wohnungsindustrie und Wohnwelt-Imagination in Auseinandersetzung tritt.
Oliver Hall, Professor für Städtebau, erklärt in der Süddeutschen Zeitung: „Der Wunsch, urban zu wohnen, ist nicht gleichzusetzen mit dem Wunsch, großstädtisch oder städtisch zu wohnen.“ Und weiter: „Nutzungsdichte ist die neue Form der Dichte.“ Stimmen Sie dieser Entkoppelung von Urbanität und Stadt zu?
Absolut. Städte ohne Urbanität können nur vermieden werden, indem tatsächlich eine vermehrte, verdichtete Nutzung stattfindet. Diese Nutzung besteht aber nicht nur darin, die Städte als Kulisse für verschiedene Nutzungsmöglichkeiten zu sehen, sondern darin, sie als Ort der aktiven Aneignung wiederzuentdecken.